Weniger betretene Wege sind von Natur aus anstrengender. Es liegen mehr Steine im Weg, eine Ausschilderung fehlt und streckenweise bist du ganz schön alleine. Die Suche nach dem Unbekannten verlangt Opfer. Es ist wie mit der Wahl zwischen dem Baden am überfüllten Hotelstrand und der hoffnungsvollen Suche nach einer einsamen Bucht. Während du gar nicht weißt, ob du sie überhaupt findest, liegen die anderen schon aufgereiht in der Sonne. Garantie versus Risiko.
Eine Trennung mit Kindern ist keine sonnige Urlaubspartie. Und die Patchwork-Romantik kein zufällig entdeckter Traumstrand, sondern das Ergebnis einer mutigen Suche. Obwohl Trennungen gar nicht so unüblich sind, so gesehen also recht gut betretene Wege sein sollten, gibt es wenig schöne Reiseberichte. Hass, Streit, Kindesentfremdung und der finanzielle Ruin am Ende eines Rosenkrieges – ermutigend sind die Beispiele selten. Und so hat man es auch uns prophezeit, als Reisewarnung des „Auswärtigen Zeigefingeramtes“ sozusagen.
Urteile sind eigentlich der schlimmste Gegenwind.
Eines davon trifft ausgerechnet die Kinder am härtesten. So gibt es zum Beispiel immer eine tolle Erklärung für jede kleinste Verhaltensauffälligkeit: „Ist halt ein Scheidungskind.“ So lautet das gedachte oder gerne auch ausgesprochene Pauschalurteil. Genau, Scheidungskinder haben natürlich einen Hau weg. Die Eltern haben versagt, gesündigt und sind gescheitert. Wie sollen die Kinder da auf den rechten Weg kommen?!
Lange habe ich mich mit solchen primitiven Gedanken sogar selber geplagt und beinahe verirrt. Doch sie (die falschen Gedanken und Überzeugungen) sind wahrscheinlich das Einzige, was zu schädigenden Verhaltensweisen führt. Wenn ich dann nämlich glaube, etwas wieder gutmachen zu müssen, dann könnten Geschenke ausgleichend wirken. Und schon gilt das Motto: Kauf dich (und die Kinder) glücklich.
Irrtum, denn das größte Geschenk für Kinder sind lebendige und wahrhaftige Eltern.
Menschen, die sich verletzlich, ehrlich und gefühlvoll zeigen. Und dazu gehören oft ungerade Lebenslinien, Experimente, Fehler und Neustarts. Es braucht den Mut, dem inneren Ruf zu folgen und andere Abbiegungen zu nehmen. Diesen Mut vorzuleben ist unbezahlbar. Auch wenn wir dazu gerne amtliche Regelungen hätten: Das ist keinem speziellem Modell vorbehalten. Mut kann ich in verschiedenen Lebensmodellen haben! Das kann es in einer ungeschiedenen Ehe, in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder in einer Patchworkfamilie geben. Genauso aber auch in allen Varianten NICHT. Mir fallen etliche Beispiele ein, die das im Umfeld belegen. Und ich kenne viele Menschen, die es in ihrem Leben schwer haben, obwohl sie aus einer vermeintlich – ich benutze die Bezeichnung widerwillig – „intakten Familie“ stammen.
Nach meiner tiefen Überzeugung gibt es für jeden Menschen einen gewissen Klärungsbedarf im Leben. Unbekannte Aufgabenpakete auf dem Weg zu mir selbst. Vielleicht sogar von unseren Ahnen überlassen, wer weiß. Wenn ich mich diesen Aufgaben zuwende, sie anpacke und verschiedene Pakete mutig öffne, bringe ich etwas ans Licht. Mich stärkt dabei die Idee, dass ich auch meinen Kindern mit jedem geöffneten Päckchen einen Dienst erweise. Vielleicht müssen sie dann dieses Paket nicht mehr mit durch ihr Leben schleppen, sondern können sich schneller den eigenen zuwenden. Oder sie beobachten und lernen, wie ich mit mir und diesem Paket umgegangen bin.
Eine Patchwork-Familie zu sein ist ein schweres Paket. Patchwork klingt irgendwie ganz einfach, ist aber im Wortsinne echte Arbeit.
Wenn mich jemand nach einem Rezept fragen würde, dann würde die Antwort wahrscheinlich mittlerweile ähnlich lauten wie die eines Goldhochzeitspaares in der Lokalzeitung: Es braucht die Bereitschaft, sich selber und einander zu vergeben, ehrliche Auseinandersetzungen, Kompromisse sowie eine gemeinsame Überzeugung. Letztlich ist es eben auch die Pflege eines Familienmodells: die Herstellung einer Beziehung zwischen den neuen Partnerschaften, die Schaffung gemeinsamer Werte und einer toleranten Verbindung von Lebenswelten. Dafür gibt es kein einfaches Rezept, es geht aber in und mit Liebe (für alle Beteiligten: die Kindern, den Partner und den Ex-Partner) tatsächlich einfacher, als mancher denkt. Die Liebe kann das zusammenhalten, wie beim Jubelpaar. Nur ist es eine andere Art von Liebe, die nicht der pauschalen Vorstellung entspricht.
Lange haben wir zum Beispiel das Nestmodell praktiziert. In diesem Modell bleiben die Kinder im Nest (in unserem Falle im gemeinsamen Haus) und die Eltern fliegen quasi zur Betreuung wechselseitig ein und aus. Welche Toleranz und Selbstbeherrschung allen Beteiligten dabei abverlangt wird, kann sich jeder vorstellen –spätestens bei dem Gedanken an die räumlichen Notwendigkeit, abwechselnd im gleichen Schlafzimmer zu nächtigen. Natürlich hätte es auch eine Luftmatratze im Wohnzimmer getan. Aber wieso sollten die Kinder ihre Wege im Halbschlaf ändern müssen, wenn ein Alptraum sie in Richtung Elternschlafzimmer treibt? Etwa weil Mama und Papa neue Wege gehen? Das könnte alles so selbstlos klingen. Ist es aber in unserem Falle nicht gewesen. Es war ein Akt der Selbstliebe (für Seele und Rücken), die Liebe zu den Kindern wichtiger zu nehmen, als Ego-Schmerzaktionen (wie z. B. Eifersucht) darüber zu stellen.
Und so gehen wir weiter den Weg und hinterlassen hoffentlich lebendige Spuren, die den Kindern einmal als symbolische Orientierung dienen.
Sie sollen sich niemals schlecht fühlen müssen, wenn sie vermeintlich versagen, Umwege gehen, drei Schritte zurück machen oder einfach mal die Richtung ändern. Sie sollen den Mut haben, sich ihren Weg zu suchen und Neuland zu entdecken – immer getragen von einer großen Patchwork-Familie.
PS: Gerne beraten wir auch vertrauensvoll, wenn jemand gerade auf der Reise ist. Wir wissen, wie wichtig das sein kann. Einfach mailen.
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Cindy
I shall be telling this with a sigh Somewhere ages and ages hence: Two roads diverged in a wood, and I— I took the one less traveled by, And […] Read MoreI shall be telling this with a sigh Somewhere ages and ages hence: Two roads diverged in a wood, and I— I took the one less traveled by, And that has made all the difference. — Robert Frost Ich liebe die ehrlichen Worte, aus Liebe und Schmerz! Read Less