Um alle Zweifel direkt auszuräumen: Ich habe diese Postkarte NICHT gekauft und trotzdem hängt sie in unserer Küche. Geklaut ist sie auch nicht. Demnach ist sie das Ergebnis einer weiblichen Kaufentscheidung und kein männlicher Manipulationsversuch. Und falls jetzt der Gedanke aufkommt, dass ich hier die Stereotypen-Keule à la Mario Barth schwingen will, muss ich Sie enttäuschen. Natürlich komme ich um ein paar Rollenklischees nicht ganz drum herum, wenn es um „das bisschen Haushalt“ geht. Das macht sich ja bekanntlich selten von ganz allein, auch wenn es immer noch Männer geben soll, die mit dieser Einstellung weit gekommen sind. Im Zweifel mit einer Putz-Frau, Entschuldigung, besser Reinigungskraft (w/m).
Dank allgegenwärtiger Sprüche im Web, auf Postkarten, Sofakissen, Windlichtern oder Kennzeichenhalterungen (gestern zufällig entdeckt: „Bremsen macht die Felgen dreckig“), sollten wir ja mittlerweile geübt sein in der philosophischen Blitz-Auslegung dieser ganzen Ratschläge in Schnörkelschrift. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde das gar nicht schlecht. Jeder kleinste Versuch unsere Gehirne zum selbstständigen Denken und Fühlen zu aktivieren, ist im Grunde ein Dienst an der Menschheit. Verbuchen wir den Trend also in diesem Sinne positiv als intelligente DekoRATIOn.
Ich habe also heute Vormittag über den Deko-Hinweis nachgedacht: Das Leben wartet nicht! Und dann fiel mir die Geschichte von Nina Zacher ein, die mich in dieser Woche eiskalt beim stupiden Surfen erwischt hat. Diagnose ALS (Stichwort Ice-Bucket-Challenge), mitten im Leben. Über Facebook schreibt sie uns allen einfach direkt und öffentlich ihren letzten Brief – mit letzter Kraft per Blicksteuerung. Oder der 24-jährige Simon, der bei Domian anruft, um von seinem unheilbaren Rückenmarkstumor zu erzählen. Auch er hat nicht mehr viel vom Leben zu erwarten, außer einem schmerzvollen Ende. Und das sind nur zwei öffentliche Beispiele. Ich spare mir jetzt, persönliche zu ergänzen – die hat und kennt jeder selber. Leider.
Diese Ambivalenz zwischen Alltagsbanalitäten und Lebensgefahr, lustigen Klischeewitzen und erschütternden Krankheitsgeschichten, Lachen und Weinen ist manchmal zerreißend. Vom einen auf den anderen Moment bleibt einem die Spucke weg, und es wird ziemlich still. Das Lachen bleibt im Halse stecken, und die ganzen antreibenden Stimmen (Müll runterbringen, Reifen wechseln, Steuererklärung vorbereiten …) verstummen für einen kurzen Moment. Nicht selten schießen mir dann unkontrolliert Tränen in die Augen, es fröstelt mich auf seltsame Weise, und ich lege eine ungeplante Pause ein. Es beschleicht mich dann das Gefühl, dass wir etwas ändern dürfen.
Im Zusammenhang mit dem Edeka-Spot (Opa täuscht Tod vor, damit die viel beschäftigte Familie zum Weihnachtsessen kommt) lautete ein Kommentar auf Welt.de:
„Deutsche brauchen Gefühle mit dem Vorschlaghammer“
Weiter heißt es im Text: „Doch Rührung löst keine Probleme. In den paar Sekunden, in denen die Tränen fließen, kann man ja nichts anderes machen, als sich der Empfindung hinzugeben, dass das alles ganz schön traurig ist (…).“
Ohne den Spot zu diskutieren, bleibe ich an dieser Stelle hängen, denn ich finde nicht, dass Rührung keine Probleme lösen kann. Dieses kurze Innehalten im Moment der Rührung ist wertvoll und führt zum Umdenken. Im Prinzip so: Ich fühle etwas (Betroffenheit), denke deshalb drüber nach (stimmt, wer weiß wie lange ich meinen Opa noch habe) und ändere dann mein Verhalten (gehe ihn endlich noch einmal besuchen). Diese Momente erinnern uns also nur an etwas, was uns sowieso schon klar ist. Es ist nur im Alltagslärm untergegangen. Und ja, dafür brauchen wir manchmal einen Vorschlaghammer, weil die Pausentaste nämlich auch häufig etwas eingerostet ist.
Sprüchekarten hämmern in ihrer niedlichen Art natürlich weniger heftig, als ein aufwendiger Spot. Aber sie tun ihren Dienst. In Anlehnung an Erkenntnisse aus der Werbeforschung behaupte ich sogar, dass die reine visuelle Darbietung solch positiver Gedanken und das ständige Wiederholen etwas in uns bewirkt. Und wenn Sie es nicht dem Zufall überlassen wollen, dann nehmen Sie sich doch hin und wieder einen Moment Zeit und denken über so eine Botschaft nach. Kleiner Tipp: Das geht sogar beim Spülen ;-)
(c) Postkarte: RANNENBERG & FRIENDS
Leave A Comment