Wir ersparen uns eine Menge Ärger, wenn wir mehr über unsere Psyche wissen. Schließlich können wir auch nur körperlich gesund sein, zum Beispiel durch ausgewogene Ernährung oder die richtige Hygiene, wenn wir etwas über die Funktionen und Bedürfnisse unseres Körpers wissen.
Es wird so oft vergessen: Jeder Mensch hat seine ganz eigene Sicht auf die Dinge und in uns wirken, in Abhängigkeit unserer unverwechselbaren eigenen Biographie, hoch individuelle Mechanismen – die meisten davon völlig unbewusst. Diese beeinflussen uns und unsere Wahrnehmung von ganz allein und machen uns gerade das (Zusammen-)Leben hier und da kompliziert.
Eigentlich könnten wir uns viel öfter zurücklehnen. So verfügen wir über ein ausgeklügeltes psychologisches Schutzsystem, was uns zur Erhaltung unseres Gleichgewichtes mit halbbewussten bis hin zu komplett unbewussten Abwehrstrategien zur Seite steht. Mir gefällt der von Gilbert geprägte Begriff „psychologisches Immunsystem“. So wie unser biologisches Immunsystem unsere Gesundheit erhält, Gefahren abwehrt und Heilung betreibt, soll es ein solches System auch für unsere Psyche geben. Klingt (psycho-)logisch.
„Das Gleichgewicht der Psyche hat immer Vorrang vor der Erkenntniswirklichkeit.“ (Sylvester Walch)
Eigentlich ist damit schon das Meiste gesagt. Um zum Beispiel belastende Situationen zu ertragen, schraubt das unsichtbare System an der wahrgenommen Wirklichkeit, sie wird verzerrt. Verleugnung, Abspaltung, Projektion, Verkehrung ins Gegenteil, Bagatellisierung, Harmonisierung, Idealisierung, Retroflexion und Deflexion sind die raffinierten Werkzeuge. Ohne jeden Begriff im Detail zu definieren und zu verstehen, wird doch sofort klar, dass dies die typischen Konfliktmerkmale sind.
Beispiel: Wenn am Arbeitsplatz auffällt, dass wir einen Fehler gemacht haben, stößt uns ein unangenehmer Emotionscocktail auf (oft: Scham, Schuld, Angst vor den Konsequenzen …). Dieser bringt uns in Sekundenschnelle aus dem Gleichgewicht. In der Folge werden die unterschiedlichen halb- oder unbewussten Strategien aus der vorherigen Aufzählung herangezogen, damit wir den unangenehmen Zustand loswerden. Voller Überzeugung können wir den Fehler verleugnen, ihn jemand anderes in die Schuhe schieben oder ihn herunterspielen. Die Wirklichkeit kann so raffiniert verzerrt werden, dass wir im festen Glauben sind, keinen Fehler gemacht zu haben oder zum entsprechenden Handeln durch die Umstände gezwungen wurden. Kommt es dann zum Konflikt (z. B. mit dem dann ebenfalls emotional aufgeladenen Chef), treffen unweigerlich nur noch verzerrte Wirklichkeiten aufeinander. Dann ist Hopfen und Malz verloren. Jeder kennt das, vielleicht sogar noch häufiger in der eigenen Beziehung, bei oder mit den Kindern oder den eigenen Eltern.
Nur die Aufklärung über solche Verzerrungen kann an der Stelle helfen, damit uns in Alltagskonflikten nicht zu sehr verstricken. Wir müssen wissen, dass diese Systeme in uns und den anderen wirken. Und wir können sie nicht einfach ablegen. In echten Notsituationen sind sie überlebenswichtig. Wenn wir einen geliebten Menschen verlieren, würden wir niemals wieder glücklich werden können, wenn unser psychologischen Immunsystem nicht aktiv wird. Selbst Menschen, denen schlimmste Dinge passiert sind, finden in ganz krassen Fällen sogar einen Sinn darin, um es zu ertragen. Andere Spalten sich davon ab, weil es anders nicht zu ertragen wäre.
Bei kleinen Konflikten ist nur das „Problem“, dass sie sich wie große Dramen anfühlen und wir deshalb unser System auffordern, alle Register zu ziehen. Es ist wie mit der Angst (z. B. vor Spinnen, Schlangen, Mäusen), die bei manchen Menschen Programme abruft, die für Säbelzahntiger programmiert wurden.
Sonderfall Übertragungsreaktionen
Wenn wir unabgeschlossene Konflikte mit uns herumtragen, kann noch eine weitere Dynamik alles verkomplizieren, der wir uns selten bewusst sind. Wir übertragen etwas auf eine Person, was aber gar nichts mit dieser Person zu tun hat. So können uns Menschen (oft Partner, Lehrer, Chef) durch bestimmte Merkmale, unbewusst in den emotionalen Zustand vergangener Konflikte/Erlebnisse zurückversetzen. Kleine Merkmale reichen aus. Als wäre ein unsichtbarer Knopf gedrückt, können wir extrem emotional werden. Für das Gegenüber ist das schwer nachvollziehbar, da der Ausbruch der gegenwärtigen Sache nicht gerecht wird.
Wer mehr zu dem erfahren möchte:
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/06/Entscheidungen/seite-8
https://www.ted.com/talks/dan_gilbert_asks_why_are_we_happy?language=de
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