Wir haben die Wahl. Wollen wir uns oder anderen mit Gefühl oder mit Leid begegnen. Nie war mir das so klar, wie Jetzt. Und was hier auf dem ersten Blick nach einem fixen Wortspiel, einem kleinkarierten Rumreiten auf Formulierungen aussehen könnte, scheint mir der Schlüssel zu einer großen Freiheit zu sein.
In wenigen Tagen geben wir unsere Tochter an der OP-Schleuse ab. Eine lange, bedeutsame Herz-OP steht ihr bevor. Wen diese Vorstellung kalt lässt, den oder die habe ich noch nicht getroffen. Doch es gibt zwei so unterschiedliche Reaktionen darauf bzw. auf ihre Erkrankung allgemein, die wir in uns selber und um uns herum beobachten.
Fühlen versus Leiden
Im ersten Moment ist es kaum zu erkennen. Wo soll der Unterschied sein? Bei einem Gedanken an so etwas wie eine Operation (an eine Krankheitsdiagnose, an einen Unfall etc.), kommt keine sonnige Stimmung auf, es kommen sehr unangenehme Gefühle hoch. Klar.
Und dennoch gibt es einen entscheidenden Unterschied im Umgang damit. So waren es erst die Menschen um uns herum, die uns das klar gemacht haben. Wenn wir von der Diagnose sprechen, gibt es zwei deutlich erkennbare Reaktionsmuster, die sich je nach Ausprägung radikal voneinander unterscheiden:
- Durchtränkt von Leid. Wie schrecklich, das arme Kind usw., begleitet von schmerzverzerrten Gesichtsausdrücken. Es folgen häufig (meist offensichtlich recht unüberlegte) Fragen, die wahrscheinlich dazu animieren sollen, mehr Details zu erzählen, die dann mit noch mehr leidvollen Adjektiven quittiert werden. On top im schlimmsten Falle eigene Theorien zur Zukunft des Kindes, der Geschwister, der Familie und des ganzen Lebens. Fiese Glaubenssätze werden rausgehauen. Lange hält man diese Begegnung nicht gerne aus.
- Voller Gefühl. Meist ohne zu schnelle Kommentare, längeres Zuhören, Pausen. Ausdruck von Traurigkeit und Anteilnahme. Mehr Fragen zum Empfinden, weniger zu den Fakten. Einwurf von alternativen Sichtweisen, eigenen philosophischen/religiösen Ansätzen und sehr persönlichen Geschichten, die diese unterstreichen. Teilen der eigenen Gefühle für/zu uns. Es entsteht eine Verbindung und oft ein Gespräch von nicht enden wollender Tiefe.
Es geht mir nicht darum, die Vorgänge in der ersten Ausprägung zu verurteilen. Auch eine einzelne Formulierung ist nicht das Problem. Das Schlimme daran ist allein, dass es diese leidvolle Version in uns allen oder vielen von uns geben wird. Und unsere inneren Dialoge nicht selten so schmerzhaft verlaufen werden. Es zeigt die ganze Gemeinheit unseres unbeobachteten, schmerzerfüllten Verstandes.
Wir haben übrigens auch viele Nuancen dazwischen in uns und an anderen beobachtet. Oder auch ein komplettes Vermeiden. Ja, es gibt sogar Menschen, die sich von uns abwenden, um wahrscheinlich gar nicht mit-fühlen oder -leiden zu müssen.
Echtes Mitgefühl ist etwas sehr Besonderes. Mir war es vorher nicht so klar, nicht für den Umgang mit mir selber und anderen. Mutig ist es, mitfühlend zu sein. Angst, Trauer, Ohnmacht, Sorgen usw. zuzulassen, auszusprechen, zu teilen. Das ist gar nicht so leicht, es konfrontiert uns mit uns, es macht uns verletzlich und weich.
Das Mitleiden kommt übrigens gut getarnt auch als Anteilnahme daher und kann sogar verbindend wirken, wenn sich beide Seiten im Leid suhlen wollen. Aber das ist keine schöne Verbindung. Es endet in einer Sackgasse. Da kann niemand Kraft draus schöpfen.
Ich bin dankbar für die Menschen, die sich MIT GEFÜHL gezeigt haben und uns von außen so immer wieder daran erinnern, dass das der liebevollste Weg ist, sich selber und auch sein Kind zu begleiten. Bei jedem Weg, den es zu gehen gilt. Und so haben wir immer die Wahl.
„Das Leiden ist solange nötig, bis du erkennst, dass es unnötig ist.“ (Eckart Tolle)
1 comment(s)
Elke
Wieder so ein schöner Text und leider die Wahrheit. Passt für mich heute sehr gut auf den Geburtstag meines Papas, den ich seit 20Jahren nicht […] Read MoreWieder so ein schöner Text und leider die Wahrheit. Passt für mich heute sehr gut auf den Geburtstag meines Papas, den ich seit 20Jahren nicht mehr mit ihm gemeinsam feiern kann. Meine Traurigkeit versteht da leider kaum jemand. Meist findet man nur Verständnis bei Mitmenschen die ein Schicksal selbst erlebt haben. Ich wünsche Euch für die anstehende Zeit ganz viel Kraft, Liebe und Vertrauen. Ich werde für euch beten. Grüße von Herzen Elke Read Less