Viermal „durften“ wir unsere kleine Tochter schon in der liebevoll gestalteten OP-Schleuse der Uniklinik Bonn abgeben. Eine Unterwasserlandschaft ziert die Wände und Decken und macht Räume sehenswert, die eigentlich niemand sehen will.
Mich beschäftigt diese Metapher. Ich habe ums Tauchen immer einen großen Bogen gemacht. Wasser war sowieso nie so mein Element, dachte ich. Während mein Bruder im Freibad mit Handstand und Salto vom Dreimeterbrett galant im Wasser landete, blockierte ich die Metalltreppe, um meinen bibbernden Körper einigermaßen lautlos und in unfreiwilliger Zeitlupe ins eiskalte Nass zu zwingen – gerne mit einer Hand an der Nase.
Heute packe ich mir übrigens nicht nur an die Nase, sondern auch an den Kopf, wenn ich an den damit verbundenen Stress denke. Mein Ego hatte schwer zu kämpfen, dass mir das (vermeintlich unmännliche) Verhalten viel Spott und Häme am Beckenrand bescherte. Aber das reicht an der Stelle als kurzes Abtauchen in die Vergangenheit.
Jetzt zurück in die Gegenwart. Das eigene Kind in die Hände einer zum Großteil unbekannten Crew von Menschen zu geben, die an einem ziemlich entscheidenden Organ operieren, das fördert einen Tauchgang der besonderen Art, es ist mehr ein Eintauchen in die Unterwelt der Ängste und Sorgen.
Wieder ist es kalt, mein Körper zittert und ich habe das Bedürfnis, die Luft anzuhalten. Da ist eine Angst zu ertrinken, regelrecht in den unangenehmen Emotionen zu ersaufen.
Aber es passiert nicht. Es taucht etwas anderes auf!
Was ich zuletzt erlebt habe, das kommt der gestalteten Unterwasserlandschaft gleich. Das Bild passt wunderbar. Es gibt unter diesen Emotionen eine Stille, die so nur unter der Wasseroberfläche zu finden ist. Ich wurde ganz ruhig.
Sich den eigenen Gefühlen zu stellen, das ist wie ein Sprung (oder Leitergang, auch OK) ins kalte Wasser. Während wir die ganze Zeit denken: „Das werde ich nicht aushalten“, stellt sich beim mutigen Eintauchen etwas ein, was vom Beckenrand aus unvorstellbar ist. Es fühlt sich nach einer Weile machbar an, es ist nicht mehr so kalt und die neue Umgebung kann sogar als freundlich wahrgenommen werden. Aber das macht eben nicht nur der dicke Zeh, wir müssen ganz rein – mit Haut und Haar.
Vor ein paar Tagen war ich im Gottesdienst, den mein Sohn mitgestaltete. Die jungen Teenager erzählten von ihrer Ferienfreizeit, vom Wasser und entwickelten eine so starke Analogie: Es war die Rede vom Salzwasser. Es kann unangenehm brennen, aber eben auch heilen! Vieles braucht einen anderen Blickwinkel, um der Wahrheit ein Stück näher zu kommen. Meine Schleuse ging auf: Mir kamen die Tränen, Tränen die ausgerechnet salzig schmecken.
Weinen ist irgendwie auch Wassersport. Und das Eintauchen in Gefühlswelten traut sich längst nicht jeder. Vielleicht ist Wasser doch mehr mein Element, als ich es dachte. Schön, dass meine Kinder mir auf unterschiedliche Weise helfen, damit nicht unterzutauchen, sondern immer mehr auftauchen zu lassen.
3 comment(s)
Juliane
❤️ in der Stille finden wir die Liebe, die immer da ist, ganz egal, wie die Umstände gerade sind! Danke für diesen schönen Text! 🙏
Elke
Lieber Tim! Deine Worte berühren mich sehr! Danke, dass Du mich mit nimmst auf deine Unterwasserreise 🥰
Jorinde Schlichtig
So schön und was für ein Segen, so ein offener verstand ❣️ Danke dir für diese Unterwasserreise❣️