Was wäre, wenn wir unsere Probleme, Schwächen und Ängste großzügig preisgeben? Wäre es total unklug, weil wir uns angreifbar und verletzlich machen? Laden wir damit andere ein, auf uns herumzuhacken? Könnte es uns gar beruflich zum Verhängnis werden? Vergraulen wir damit (aktuelle oder potentielle) Partner?
Oder wäre es ein Befreiungsschlag, ein bedeutsamer Anfang? Könnte es sein, dass wir uns das Leben damit unendlich viel leichter machen? Könnten wir bestimmte Rollen, Fassaden und Deckmäntelchen ablegen, die uns einschränken? Würden wir vielleicht sogar eine neue Gemeinschaft erfahren, die wir bisher nicht kannten? Retten wir damit vielleicht sogar Menschenleben?
Psychische Krankheiten, Ängste, Abhängigkeiten, Süchte, ungewollte Kinderlosigkeit, Eheprobleme, Geldsorgen usw. Die Liste der Themen ist lang, die wir anderen oder gar uns selbst nicht eingestehen. Von den „großen Fällen“ im privaten Umfeld bekommen wir etwas mit. Bleibt ja auch nicht aus, wenn zum Beispiel jemand einen Klinikaufenthalt erklären muss.
Aber was ist mit der Dunkelziffer der vielen „kleinen Fälle“? Wahrscheinlich lässt die falsche Scham sehr viele im Dunkeln stehen. Alleine.
Das ist ziemlich paradox. Alleine zu sein, das ist vielleicht die größte Angst, die wir alle bewusst oder unbewusst miteinander teilen. Und im Kern könnte genau sie der Treiber sein, der uns zu faulen Verschwiegenheitskompromissen bringt. Wie absurd: Damit wir also nicht aus einer Gemeinschaft ausgeschlossen werden oder ihr zur Last fallen, sagen wir bestimmte Dinge besser nicht. Und machen sie mit uns alleine aus. Damit wir vor den starken Freunden/Kollegen nicht schwach wirken, benehmen wir uns lieber auch bärenstark.
Das ist Schwachsinn. So läuft das nicht. Damit tun wir uns keinen Gefallen. Damit sind wir nicht liebevoll zu uns selber.
Was würden wir unseren Kindern sagen, wenn sie ein Problem haben? Klingt das liebevoll: „Behalte es für Dich, such Dir keine Hilfe in Gesprächen mit anderen, verstelle Dich mit all Deiner Kraft. Mach einfach weiter.“ Niemals würde uns dieser Schwachsinn den Kindern gegenüber über die Lippen kommen. Aber uns selber gegenüber sind solche Einstellungen erlaubt!?
Zeit zum Nachdenken.
Es geht nicht um unnötiges Rausposaunen, nicht um Effekthascherei oder fishing for compliments. Es geht darum, ehrlich zu uns selber zu sein, dann den anderen unsere Ängste, Sorgen und Nöte offen zum Ausdruck zu bringen. Nur so können wir alle dafür sorgen, dass wir mit unseren Problemen nicht alleine sind. Offenheit und Mut sind der Anfang vom Ende des Leidens.
Natürlich empfiehlt es sich auch nicht wirklich, seine Krankheitsakte direkt auf Instagram zu posten. Das sehe ich ein. Aber manchmal glaube ich, ginge es uns allen ein Stückchen besser, wenn auf solchen Kanälen nicht nur allen die (gefilterte) Sonne aus dem Arsch strahlt. Das führt nämlich dazu, dass sich Menschen ziemlich sonderbar fühlen, die gerade nicht auf der Sonnenseite leben.
Zum Abschluss: Ja, ich weiß selber wovon ich spreche. Ich habe mich schon immer durch ganz verschiedene Phasen und Krisen gekämpft. Heute weiß ich, dass ich es mir und anderen viel leichter gemacht hätte, wenn ich schneller angefangen hätte, mich nicht zu verstecken. Auch ein Grund, warum ich diesen Blog schreibe.
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Natalie Kühn
Sehr schön geschrieben und wie immer auf den Punkt ... ganz lieben Gruss, natalie (die Angst alleine vor dem Feuer zu sitzen ist glaube ich […] Read MoreSehr schön geschrieben und wie immer auf den Punkt ... ganz lieben Gruss, natalie (die Angst alleine vor dem Feuer zu sitzen ist glaube ich manchmal so groß, dass man sich lieber direkt alleine in den Keller setzt) Read Less