Es gilt als gute Tugend, anspruchsvoll zu sein. Hohe Ansprüche zu erfüllen und sich selbst nur mit dem Besten zufrieden zu geben. Menschen, die mit dieser Haltung ihren Job erledigen, sind auf dem Arbeitsmarkt höchst willkommen. Und ich bin wahrlich nicht befreit davon, mich und andere mit einem gewissen Anspruch zu fordern und ertappe mich zu oft mitten in dieser Falle.
Dabei bleibt es doch wieder dabei: es gilt das richtige Maß zu finden. Den individuell „richtigen“ (passenden) Anspruch, der uns zu befriedigen vermag und nicht zu einer unendlichen Belastung wird.
Im Marketing ist es selbstverständlich, verschiedene Anspruchsgruppen zu analysieren und sich mit Produkten und Dienstleistungen bestmöglich auf diese einzustellen. In der Hitliste der Bullshit-Formulierungen von Werbetexten sehe ich gar folgende Floskel ganz oben: „Für höchste Ansprüche gemacht!“
Damit Ansprüche gemessen werden können, sind wir Meister in der Entwicklung von Bewertungs-, Sternchen- und Noten-Systemen. Im Grunde ein wahnsinniger Stress – von klein auf an. Eine befriedigende oder gar ausreichende Erfüllung von Ansprüchen kommt zunehmend einem Versagen gleich. In meiner fast zehnjährigen Tätigkeit in der Hochschullehre erlebe ich diesbezüglich eine fast katastrophal empfundene Entwicklung. In den Notensystem scheinen mittlerweile schon die leicht „schlechteren“ Nachkommastellen hinter der Eins für einige Studierende unerträglich und führen zu ebensolchen Diskussionen. Im wirtschaftlichen Umfeld sind es immer mehr aufkommende Scoring-Systeme, die mit ständig neuen Kennzahlen zur Bewertung von z.B. Lieferanten eingesetzt werden. Erreichen wir eine Zahl, Quote oder sonst etwas nicht, sind wir raus. Auf das die übrig bleiben, die nur „höchste Ansprüche“ erfüllen.
Für mich führt das blinde und unreflektierte Streben nach dem Oberallerbesten in allen Lebensbereichen aber in eine Sackgasse. Es sind genau diese Denkprozesse und falschen Glaubenssätze, die uns ausbrennen lassen. Die uns von der Zufriedenheit entfernen, nach der wir uns alle so sehr sehnen. Paradoxerweise glauben wir dabei dann auch noch, dass wir sie auch noch auf diesem Holzweg finden werden.
Lasst uns doch etwas anderes für uns beanspruchen …
Allem voran gilt es doch, die echten und wirklich wichtigen Ansprüche für sich ausfindig zu machen. Und uns damit in die gesunde Gelassenheit zu bringen, auch in einem vermeintlichen Mittelmaß oder einem gar nicht erfüllten Anspruch leben zu können. In der Familie, der Partnerschaft, dem Hobby und auch dem Job kann es ganz andere Aspekte geben, die in keinem vergleichenden System Platz finden müssen.
Denn es sind immer nur die falschen Erwartungen, die zur Enttäuschung führen.
Was ich von mir und anderen erwarte, braucht mehr als eine Fünf-Sternchen-Skala oder eine Notensystem von 1 bis 6. Es passt doch nicht alles in eine solche Logik, so raffiniert sie auch sein mag. Werte, Eigenschaften oder eben persönliche Umstände sind auf eine ganz eigene Art Teil unseres Lebens – wer darf darüber schon urteilen? Lasst uns weniger erwarten, um nicht so oft enttäuscht zu werden. Hängen wir die Latte ein wenig tiefer, wird es leichter. Erfolge, Ideen, Talente und Lösungen können in diesem Umfeld besser gedeihen und uns in den wesentlichen Dingen anspruchsvoll werden lassen, ganz individuell.
Dazu ein Link zu einem älteren Blogartikel zum sehr verwandten Thema: Idealismus
Alle Angaben ohne Anspruch auf Richtigkeit ;-)
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