Zwei elementare Grundbedürfnisse stecken tief in jedem von uns und prägen unser (Beziehungs-)Verhalten: Wir möchten verbunden sein UND gleichzeitig wachsen können. Diese These habe ich vom Hirnforscher Prof. Gerald Hüther gemopst. In einem Vortrag erklärt er die Grunderfahrung, die wir alle in den ersten neun Monaten unserer Entwicklung machen: Wir erleben von Beginn an, dass wir im Mutterleib vollkommen geborgen und verbunden sind, während wir gleichzeitig und völlig bedingungslos zu einem kleinen Menschen heranwachsen. Doch mit der Geburt endet diese vollkommene Einheit jäh. Wir werden in ein System geboren bzw. ent-bunden, wo diese Verbindung in seiner Gleichzeitigkeit schwer zu erreichen ist.
Dahinter steckt keine direkte Böswilligkeit. Verbundenheit bzw. Gemeinschaft wurde in unserer Kultur über Jahrtausende zur Währung für erwünschtes Verhalten. Wachsen wir in die Richtung, wie es die Gesellschaft wünscht, erfahren wir die ersehnte Zugehörigkeit. Wir gehören dazu, erfahren Anerkennung und bekommen vielleicht sogar Applaus. Entfernen wir uns von der jeweilig gewünschten Norm, werden wir ausgeschlossen, verbannt oder gar Schlimmeres. Nach diesem Prinzip arbeiten (unbewusst oder bewusst) in unterschiedlicher Ausprägung alle Gemeinschaften, Gemeinden, Organisationen, Familien und Beziehungen/Ehen.
Die Ehe war (und ist) teilweise für viele Menschen eine große Enttäuschung. Auf der ewigen Suche nach Wachstum und Verbundenheit, scheint das Modell der ewigen Verbindung die Ideallösung. Doch leider ist sie für viele eine Sackgasse. Maximale Verbundenheit ja, persönliches Wachstum nur bedingt. Wächst ein Ehepartner über sich hinaus, will etwas erleben oder erreichen, bekommt es das Gegenüber mit der Angst zu tun (Angst vor dem Verlust der Verbindung) und bestraft paradoxer Weise mit Verbundenheits-Sanktionen: Keine ehrlichen Gespräche, keine gemeinsame Zeit, kein Sex. Die berühmte Hollywood-Scheidungsanwältin, Laura Wasser, hat in einem unterhaltsamen Interview in der ZEIT einen vermeintlich primitiven Satz gesagt, den sie sozusagen als Tipp mitgegeben hat: „Schlafen Sie mit Ihrem Mann, sonst wird es eine andere tun!“ Klingt komisch, ist aber so: Ist eine Verbindung gestört, beginnt schnell die Suche nach einer neuen Verbindung. Hier also auch wieder Verbindung (in Form von körperlicher Nähe) als Währung.
Wie können wir dem Dilemma entkommen? Wie können wir ein neues System etablieren? Wie können wir verbunden bleiben und gleichzeitig miteinander wachsen?
Natürlich ist der Tipp von Frau Wasser nicht das Geheimrezept. Vielleicht sogar im Gegenteil: Wir müssen Verbundenheit als Währung entwerten. Es geht um einen Umdenkprozess. Dazu kann ich mehrere tolle Bücher empfehlen, die uns neue Sichtweisen bringen können. Aller Wahrscheinlichkeit nach geht es nämlich darum, die Selbstverantwortung (auf der Suche nach Verbundenheit und Wachstum) zu erkennen und zu übernehmen. Zum Beispiel empfehle ich das Buch von
Der irreführende Titel bringt es auf den Punkt. Wir glauben zu oft, andere müssten uns beglücken. Unser Umfeld sei verantwortlich dafür, ob wir Verbundenheit spüren und Wachstum erfahren dürfen. Das ist natürlich eine Täuschung. Eine Beziehung/Ehe mit diesem Anspruch zu belegen, muss also zwangsläufig zur Ent-Täuschung führen. Gilt übrigens auch für die Erwartungshaltung gegenüber unserer Arbeit.
Wenn wir uns immer dann glücklich fühlen, wenn wir verbunden sind und uns entwickeln können, ist der Partner natürlich schnell der Unglücksbringer, sobald er uns vermeintlich einengt oder ausbremst. Können wir uns hingegen an seiner Seite Entfalten und erfahren seine Unterstützung, sind wir happy. Meist ist aber natürlich nicht der Partner die Bremse, sondern wir selber. Wahrscheinlich ist auch erst die Verbindung zu uns selbst „gestört“, bevor uns andere stören. Wir müssen uns also selber unsere Verbindung und unseren Wachstum pflegen und kultivieren, damit an unserer Seite jemand das Gleiche tun kann. Dazu noch zwei Bücher, die insbesondere in Krisenzeiten wirklich helfen können:
- Chuck Spezzano*: Wenn es verletzt, ist es keine Liebe: Die Gesetzmäßigkeiten erfüllter Partnerschaft.
- Chuck Spezzano*: Die Spiegel deiner Seele: Partnerschaft, Familie, Gemeinschaft: Entdecke, was das Innere heilt
Zum Abschluss ein paar persönliche Worte und etwas zum Bild. Ich mag diesen ungewöhnlichen Schnappschuss von unseren Hochzeitsfotos wegen ein paar Details: Wir laufen ungewöhnlich schick durch den Wald, genauer gesagt befinden wir uns sogar im Naturschutzgebiet. Wir kommen von einer Weggabelung und gehen nun gemeinsam. Der Weg ist aber nicht geteert, er ist steinig und matschig. Wir blicken einander an, aber jeder muss trotzdem selber seine Schritte tun. Bei aller Selbstverantwortung können wie einander natürlich immer helfen und im Tempo aufeinander achten. Ein schönes Bild, was aller romantischen Idealisierung den Spiegel vorhalten kann. Und: Eine Ehe braucht wahrscheinlich wirklich öfter Gummistiefel als High Heels ;-)
Das Foto hat die tolle Fotografin Laura Kirst geschossen: www.laurakirst.de
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