Ausgerechnet der erste Artikel unseres Grundgesetzes wirkt auf den ersten Blick fast unscheinbar, vielleicht sogar abstrakt:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Doch er hat es natürlich in sich, anders wäre die Pole Position im Gesetzestext wohl auch nicht zu rechtfertigen. Dafür müssen wir uns die Würde etwas genauer anschauen. Was ist denn eigentlich Würde? Was ist würdevoll und was ist unwürdig? Was sieht meine ganz persönliche Würde aus? Dazu habe ich ein tolles Buch von Gerald Hüther in die Finger bekommen:
Würde. Was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft.
Gerald Hüther promote ich nicht zum ersten Mal, da ich seine Anregungen als sehr inspirierend empfinde. Als Gehirnforscher hat er einen sehr wissenschaftlichen, spannenden und zugleich pragmatischen Blick auf Fragen, die eher philosophischen Klang haben. Er lädt gerne dazu ein, sich auch seine ganz eigenen Gedanken zu machen, während er beiläufig die Funktionalitäten unseres Gehirns veranschaulicht.
Gleich zu Beginn zeigt er eindringlich auf, wie würde- und orientierungslos unsere Gesellschaft leider in viel zu vielen Lebensbereichen ist. Und welche Probleme das mit sich bringt, für uns und unsere Natur. Abgekürzt verstehe ich die Essenz des Buches als eine Art Appell an unsere Selbstverantwortung. Es ist unsere Aufgabe – allein, aber auch gemeinschaftlich – unsere eigene Würde zu ergründen und zu leben. Ein schöner Aufruf an unsere Ver-ANTWORT-ung im besten und wortwörtlichen Sinne.
„Würde (lateinisch dignitas) ist die Eigenschaft, eine einzigartige Seinsbestimmung zu besitzen. Sie kann einem Lebewesen, einem System von Lebewesen, aber auch einer natürlichen oder menschlichen Schöpfung zugesprochen werden.“ Wikipedia
Wir können es selbst bestimmen, wer wir sein wollen, welche Werte wir vertreten und wo unsere Grenzen sind. Erst einmal toll. Problematisch wird es dann, wenn wir uns darauf keine klare Antwort geben und uns stumpf einreihen. Wenn wir Verhaltensweisen um uns herum tolerieren, legitimieren und kultivieren, die eigentlich unter unserer Würde sein sollten.
Das kann den Umgang mit Menschen, Tieren und Ressourcen betreffen. Oder gar den Umgang mit uns selbst. Was mute ich mir selber zu? Hüther betont dabei immer wieder ausführlich den Beginn allen Übels: Was muten wir unseren Kindern zu? Dabei stellt er die unbequeme Frage an unser Bildungssystem: Gibt es in diesem überhaupt den Raum, die eigene Würde zu ergründen, wenn unsere Kinder ausgerechnet unter lernunwürdigen Bedingungen in unser „System“ integriert werden?! Vielleicht ist Integration auch noch zu harmlos ausgedrückt. Es geht darum, sie in das System zu zwängen, was an sich schon zu viele unwürdige Bedingungen mit sich bringt.
Es gibt für mich kein ergreifenderes Lied, das den Finger so bedingungslos in die Wunde legt:
Das Lied geht (mir zumindest) unter die Haut, weil es so viele unbequeme, äußerst unwürdige Umstände aufzeigt. Am Ende appelliert Sarah daran, Kinder zu hinterlassen, die „sich selbst gehören“. Ein so wichtiger Gedanke und die treffende Verknüpfung zur Würde. Zugleich die Antwort auf die Frage, wie wir langfristig etwas in dieser Gesellschaft ändern können.
Auch wir sind „nur verletzte Kinder“, heißt es bei ihr. Klingt hart, mag aber die Grundlage dafür sein, unsere eigene Würde mit der Erkenntnis neu zu ergründen. Und neue Antworten zu finden, die wir uns und unseren Kindern geben können. Gelegenheiten sich würdiger zu verhalten, haben wir schließlich jeden Tag reichlich – in unseren Familien, an unseren Arbeitsplätzen, in unserer Natur und auch uns selbst gegenüber.
Noch ein Kommentar zum Foto. Für mich ist das „Abhängen“ in unserer Hängematte von (Achtung Werbung oder günstiger Wellness-Tipp) Tropilex bzw. Hängemattengigant eine sehr würdige Beschäftigung geworden. Darauf springen übrigens Katzen und Kinder sofort an.
Hier geht es zum Buch*:
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