Hauptsache gesund?

Hauptsache gesund! Ist das wahr? Wie oft dieser Satz in einer Schwangerschaft fällt, will ich gar nicht erahnen. „Was wird es? (…) ach, Hauptsache gesund!“ Ach ja? An der Supermarktkasse, auf Familienfeiern, im Büro und wahrscheinlich andauernd im eigenen Kopf: Hauptsache gesund! Eine tiefwurzelnde Aussage, die schmerzhaft an die Oberfläche kommt, ihre volle Gemeinheit entfaltet, wenn es nicht so ist. Wenn die angebliche Hauptsache nicht eintrifft: Nicht gesund.

„Hauptsache gesund“ ist mehr als eine Smalltalk-Floskel, auch wenn sie so daherkommt. Es ist ein Glaubenssatz, eine Überzeugung, eine große Gemeinheit. Wenn wir – bewusst oder unbewusst – denken, dass das die Hauptsache ist, dann ist alles andere Nebensache, dann ist alles andere weniger Wert, dann ist das (Haupt-)Ziel verfehlt. Je nach Diagnose übrigens ein Leben lang unerreichbar.

Vielleicht mag das Auseinandernehmen dieser Floskel auch sehr kleinkariert wirken. Darf man denn bald auch gar nichts mehr sagen, ohne dass es auf die Goldwaage gelegt wird? Man darf und eigentlich könnte es mir egal sein. Ich könnte mir auch erzählen, dass sich keiner was dabei denkt. Aber ich befürchte, dass genau hier das Dilemma des unbewussten Denkens beginnt. Es wirkt in uns, wir denken es. Wir stricken Überzeugungen drumherum. Und das ist der Ursprung, die Quelle für Leid.

Wir waren und sind traurig, dass wir ein Kind bekommen, dass nicht gesund ist. Trauer ist unvermeidlich, Trauer ist aber ein reines Gefühl, sehr nah und fast verwechselbar mit Liebe. Trauer darf und sollte da sein. Das Leid bzw. die dramatischen Anteile der Emotionaliät brauchen aber immer schmerzvolle Gedanken. Wir denken uns ungebremst angstvolle Geschichten aus, zeichnen gruselige Szenen im Kopf und tun uns damit nicht gut. Es lohnt sich sehr, das zu unterbrechen, den Gedanken ein Beinchen zu stellen.

„Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann“ (Francis Picabia). Wir können dem Denken hier und da eine andere Richtung geben, das ist die erleichternde Nachricht.

Der tiefe Wunsch nach anderen Denkansätzen hat uns ins The-Work-SummerCamp geführt. Hier kommen Menschen zusammen, die mit der recht unkomplizierten Technik von Byron Katie, auch als IBSR (Inquiry-based Stress Reduction) bekannt, mutig ihre Gedanken hinterfragen. Wir haben dort viel gelernt, geweint, gelacht und uns so von einer Menge stressvoller Gedanken distanzieren können. Zentraler Bestandteil der Methode ist, die Gedanken umzukehren und eine neue Bedeutung zu finden, die auch wahr sein kann oder sich gar wahrer anfühlt. Eine Bedeutung, hinter der ich wirklich, wirklich stehe und die unser Kopf nicht einfach so daherplappert.  

Hauptsache gesund GELIEBT!

Wie fühlt sich „Hauptsache geliebt!“ an? Wir haben mit dem Satz ein anderes Haupt-Ziel, das wir erreichen können. Die Liebe wird wichtiger als Gesundheit. Eine so viel stärke Sichtweise und Haltung. Wir haben dann Themen, die zur Nebensache werden dürfen. Was kann ein Mensch mit Krankheit, wie sieht er aus, wie lange darf er leben? Hauptsache geliebt! Geliebt sein, ohne eine Bedingung zu erfüllen. Geliebt sein, ohne vielleicht etwas Unerreichbares (wie vollständige Gesundheit) zu erreichen.

Vor vielen Jahren hat mir unser Pfarrer ein Buch geschenkt. Dieses Buch fiel mir nun zur rechten Zeit wieder in die Hände und trägt den äußerst passenden Titel: Du bist der geliebte Mensch. Mich tröstet die Vorstellung und der feste Glaube, dass Gott uns auch nicht in gesund und krank einteilt.

Ich stelle mir gerade eine typische Szene an der Kasse vor und höre den Satz einer älteren Dame, die zur Schwangeren sagt: „Hauptsache geliebt!“ Vielleicht weiß die Mama schon, dass ihr Baby nicht gesund ist. Vielleicht ist es gesund. Vielleicht wird es später einmal krank. In allen Fällen schadet der Satz wohl kaum, er ist voller Liebe. Wir wissen nicht was in diesen Bäuchen und den kleinen Leben passieren wird. Aber vielleicht erinnert sich diese Schwangere irgendwann an diesen Satz. Oder sie gibt ihn weiter und stärkt andere Eltern, die ihre Kinder nicht durch die volloptimierte Brille dieser Zeit sehen können.

Zum Abschluss fällt mir noch etwas ein, was mich ein wenig Schmunzeln lässt. Irgendwie sind es dann doch immer oft die Kölner, die es vielleicht schon längst besser wussten. Immerhin schreiben sie im Rheinischen Grundgesetz: „De Haupsaach es, et Hätz es jot.“ Da steht nichts von gesund, oder?